Report Datenbank php 7.x aufrufen Neues vom Ijsselmeer in Holland
Rundschau Nr.25, 1964
Neues vom Ijsselmeer in Holland
"Bitte auf A schalten", klingt es aus dem Kopfhörer. Einige Sekunden später: "Auf B schalten", dann: "Auf C schalten", und dann: "Auf D schalten", und dann: "Alles noch einmal wiederholen". Danach wird eine kleine Rechnung durchgeführt und schon ist eine Entfernung von über 20 km genau bestimmt. Für einen älteren Vermessungstechniker grenzt so etwas an Zauberei. In unserem Zeitalter ist es aber möglich durch die "E-Messung mit elektromagnetischen Wellen".

Wir hatten den Auftrag, auf dem Ijsselmeer (früher ZuiderSee) Unterwasser-Gravimetrie auszuführen. Hierbei mußten die Meßpunkte auf dem Wasser koordinatenmäßig genau bestimmt werden. Mit Hilfe von drei Tellurometern war dies im trigonometrischen Verfahren (Trilateration) ohne weiteres durchführbar.

Das Tellurometer mißt Entfernungen von 200 m bis 50 km auf 5 bis 15 cm genau. Das Gerät arbeitet bei Tag, Nacht, Dunst, Rauch, Nebel, ja sogar bei leichtem Regen. So steht es in den Prospekten. - Alles schön und gut, wenn man ein trigonometrisches Netz auf dem Festlande vermißt. Unsere Entfernungen mußten aber über das reflektierende Wasser bis zu dem meist schwankenden Schiff ermittelt werden. Nach einer kurzen Ausbildung in Hannover konnten wir zwar das Gerät aufbauen und auch alle Schalter und Hebel bedienen, aber die praktische Erfahrung fehlte uns noch. Erst nach mehreren Probemessungen in Holland wußten wir, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren.

Das Ijsselmeer ist ca. 80 km lang und 40 km breit. Es kam vor, daß wir Entfernungen bis zu 20 km zum Schiff hatten. Es ist ja nicht damit getan, daß man sich mit dem Instrument auf einen Deich stellt und nun munter drauf los mißt, denn bei einer Meßstrecke von etwa 7 km macht sich schon die Erdkrümmung bemerkbar! Was blieb uns anderes übrig, als uns mit den Instrumenten hoch hinaus zu begeben.

Bekanntlich gibt es in Holland keine hohen Berge, erst recht nicht an der Küste. Wir benötigten jeweils zwei Punkte an Land. Als sehr praktisch für unsere Arbeit erwiesen sich Kirchtürme und Leuchtfeuer. Einige dieser Türme waren bis zu 600 Jahre alt und zwischen 15 und 70 m hoch. Den Architekten der damaligen Zeit standen noch keine Fahrstühle zur Verfügung. Wir mußten also unser Tellurometer, Stativ, eine 12 Volt Batterie und oft noch einen Theodoliten über die morschen Treppen und Leitern nach oben schleppen. Nicht selten brachen wir mit den Stufen ein und blieben mit unserem Kopf an irgend einem Balken hängen.
Neues vom Ijsselmeer in Holland
So ein Meßtag in luftiger Höhe brachte manchmal besondere Erlebnisse mit sich. Jeder Turm hat ein unvergessenes Erlebnis hinterlassen und wenn es auch manchmal nur der Blick von oben herab auf eine alte, malerische Stadt war. Den größten Schreck auf einem Turm haben uns die eigenen Kollegen vom seismischen Seemeßtrupp eingejagt. An einem warmen Sonnentag schossen sie ganz dicht unter Land an uns vorbei. Ein Schuß hatte dabei die Erde so stark erzittern lassen, daß der Turm in sich schwankte und die Balken hörbar knarrten, wobei der Turm etwa 2 m aus dem Lot stand!!
Neues vom Ijsselmeer in Holland
Sehr oft wurde unsere Arbeit von Glockengeläut begleitet. Es ist sehr schön, wenn man weiß, was die Stunde geschlagen hat, aber einen halben Meter neben einer mannshohen, läutenden Glocke mit dem Instrument zu stehen, erfordert doch starke Nerven. Interessehalber sah sich ein Kollege aus dem Büro die Arbeit auf dem Turm einmal an. Während er so ahnungslos mit dem Fernglas auf das Wasser schaute, verkündete die Glocke wieder einmal den Bürgern der Stadt die volle Stunde. Beim ersten Glockenschlag machte der Kollege einen Satz nach vorn und - wäre kein Geländer auf dem Turm gewesen - so wäre PRAKLA heute um eine Arbeitskraft ärmer.

War die Arbeit auf einem Turm beendet, so war man schon gespannt, was der nächste an Überraschungen bieten würde. Dort ging dann der Aufstieg z. B. unter einer Glocke durch. Gerade dann, wenn man es eilig hatte, wurde der Weg durch den pendelnden Schwengel versperrt und man hatte genug Zeit, die ganze Schillersche Glocke aufzusagen.

Während der Wintermonate mußten wir leiden. Zu dem Rauchverbot der Kirchenverwaltung kam noch das Alkoholverbot der PRAKLA, wo uns doch manchmal ein steifer Grog auf luftiger und "kühler" Höhe so gut getan hätte. Im Frühjahr wurde es dann besser. Man kam an den Nistplätzen der Turmvögel vorbei. Es war sehr interessant, aus unmittelbarer Nähe zu beobachten, wie der Turmfalke mit kleinen Mäusen seine Jungen fütterte.

Hin und wieder bekamen wir auch Besuch. Sehr beliebt und abwechslungsreich waren Besuche von Mädchenklassen der Berufsschulen, die sich ihre Heimat einmal aus der Vogelperspektive ansehen wollten.

Unser gechartertes Schiff war auch nicht mehr das jüngste. Es hatte die Invasion 1944 auf dem Ärmelkanal mitgemacht und die Altersschwäche machte sich bereits bemerkbar. Weit draußen auf dem Ijsselmeer verstummte eines Tages der Motor. Die Besatzung konnte nur durch schnelles Ankerwerfen ein Abtreiben des Schiffes verhindern. Mit Hilfe der Sprechverbindungen an den Tellurometern konnten wir den SOS-Ruf der geängstigten Kollegen auffangen. Im nächsten Hafen war aber so schnell kein Schiff zu bekommen, um unseren Kahn einzuschleppen, da alle draußen beim Fischen waren. Aber hier konnten wir wieder einmal, wie so oft, die freundlichen und hilfsbereiten Holländer kennenlernen. Nach mehreren Telefongesprächen stand uns ein gerade reparierter Fischkutter zur Verfügung. Natürlich mußten die Kollegen sich für ihre Rettung am Abend erkenntlich zeigen.
Neues vom Ijsselmeer in Holland
Zum Abschluß noch eine kleine Geschichte, die sich auch auf einem der zahlreichen Türme abspielte. Eines unserer TeIlurometer trat am Tage vorher in den Streik. Da das Wetter gut war, konnten wir statt des dritten Tellurometers einen Theodoliten einsetzen. So kam es, daß wir zu zweit auf einem Turm unser Tagespensum ableisteten. Der langersehnte Bescheid von unserer Schiffsbesatzung, daß für heute Feierabend sei, stimmte uns fröhlich. Weil es der letzte Tag auf diesem Turm war, packten wir frohen Mutes unsere Utensilien zusammen und begaben uns auf den Weg nach unten. Da angekommen, mußten wir feststellen, daß irgend jemand im Laufe des Tages die Tür verschlossen hatte. Was nun? Wir beschlossen, nochmals die Plattform zu besteigen und der Besatzung des gerade in den Hafen einlaufenden Schiffes Winkzeichen zu geben. Da wir außer unseren Kleidern nichts geeignetes hatten, mußten die Hemden als SOS-Notrufzeichen herhalten. Durch das Fernglas konnten wir jedoch nur sehen, daß sich unsere lieben Kollegen an Bord sonnten, uns aber nicht einen einzigen zufälligen Blick schenkten. Uns blieb daher nichts anderes übrig als zu warten. Nach einer gewissen Zeit machte sich einer von uns wieder auf den Weg nach unten. Einige Minuten waren vergangen, als ein Freudenschrei durch das Innere des Turmes schallte. Die auf dem Turm Verbliebenen überwanden daraufhin Leitern und Treppen in Rekordzeit. Unten angekommen, sahen wir die weit offenstehende Tür. Irgend jemand hatte uns sicherlich winken sehen und unser unfreiwilliges Gefängnis geöffnet. Nun konnten wir, zwar etwas verspätet, zum Hafen eilen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Brüllendes Gelächter war die Antwort auf die Schilderung unseres Mißgeschickes.

H. Kartes, H. Schulz