PRAKLA-SEISMOS Report 2 / 1971  
Der neue Manteltarif
Der neue Manteltarif Einführung der Gleitenden Arbeitszeit im ganzen Betrieb

Vor etwa einem Jahr wurden die zwischen dem " Wirtschaftsverband Erdölgewinnung" und den Gewerkschaften " Deutsche Angestellten-Gewerkschaft" und "Industrie-Gewerkschaft Bergbau" abgeschlossenen Manteltarifverträge für Arbeiter und Angestellte von den Gewerkschaften gekündigt, da das Vertragswerk nicht mehr ganz den inzwischen veränderten Arbeitsbedingungen entsprach und daher der Erneuerung bedurfte.

Teile des Manteltarifes wurden schon im Oktober 1970 beim Abschluß des Gehaltstarifvertrages erneuert und in Kraft gesetzt. Damals wurde die Arbeitszeit von 42,5 auf 42 Stunden in der Woche herabgesetzt und eine Nachtzulage von 15% für die Mitarbeiter eingeführt, die nicht ständig in Wechselschichten eingesetzt sind. Auch wurde das tarifliche Urlaubsgeld, das bei PRAKLA-SEISMOS durch den Aufrechnungsvorbehalt in der Betriebsordnung gegen die AAV aufgerechnet wird, von DM 10,auf DM 15,- je Urlaubstag erhöht. Alle diese vorweggenommenen Punkte waren verhältnismäßig einfach zu regeln. Die Hauptarbeit stand jedoch den Verhandlungskommissionen mit der völligen Neufassung des Manteltarifs noch bevor.

Um unseren Mitarbeitern einen gewissen Einblick in die Tarifarbeit zu geben will ich versuchen, den Ablauf einer Tarifverhandlung zu schildern. Vorab muß noch gesagt werden, daß Gehaltstarife und Manteltarife verschiedene Dinge sind. Gehaltstarife regeln die Bezüge der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer und werden im allgemeinen mit einer Mindestlaufzeit abgeschlossen. Manteltarife dagegen legen die Arbeitsbedingungen fest; sie haben eine unbefristete Laufzeit. Da bei PRAKLA-SEISMOS mehr als 1000 Angestellte, aber weniger als 100 Arbeiter beschäftigt sind, möchte ich hier im wesentlichen über die Angestelltentarife berichten, womit nicht gesagt sein soll, daß die Arbeiter bei uns durch den Betriebsrat und die Tarifkommission etwa schlechter vertreten würden als die Angestellten. Außerdem sind die Manteltarife der beiden Arbeitnehmergruppen in den wesentlichen Teilen sowieso identisch.

Zurück zur Tarifverhandlung: Wenn die Laufzeit eines Gehaltstarilvertrages sich dem Ende nähert oder sich die Arbeitsbedingungen wesentlich verändert haben, werden die Mitglieder der großen Tarifkommission von den Gewerkschaften zu einer Aussprache eingeladen. DaB in diese Tarifkommission nur gewerkschaftlich organisierte Arbeitskollegen einberufen werden können, bedarf sicher keiner besonderen Erwägung.

Tarifverträge werden immer nur zwischen dem Arbeitgeberverband und den Gewerkschaften abgeschlossen, niemals mit einzelnen Angestellten eines Betriebes. Bei Haustarifen tritt an die Stelle des Verbandes der jeweilige Betrieb. Der Arbeitgeberverband erklärt den neuen Tarifvertrag nach AbschluB der Verhandlungen in fast allen Fällen für allgemein verbindlich. Würde diese Erklärung nicht erfolgen, hätten nur die Arbeitskollegen einen einklagbaren Anspruch auf Bezahlung und Behandlung nach diesem Vertrag, die einer der vertragsabschlieBenden Gewerkschaften angehören.

Die großen Tarifkommissionen treten also zusammen, und zwar jede Gewerkschaft für sich. Die Situation und die Arbeitsbedingungen in den einzelnen Betrieben werden gegeneinander abgewogen. Vor allem geht es darum, Veränderungen im Preisgefüge und in den Reallöhnen zu ermitteln und auf die Verhältnisse in unserem Wirtschaftsverband zu projizieren.

Auf den Tarifkommissionen lastet eine große Verantwortung. Sie sollen dafür sorgen, die Beschäftigten der Betriebe an der Fortentwicklung der Wirtschaft zu beteiligen, ohne hierbei die Kraft der im Verband zusammengeschlossenen Firmen zu überfordern. Wenn in diesen Aussprachen die Wünsche und Möglichkeiten abgegrenzt sind, wird dem Wirtschaftsverband die Kündigung der Tarifverträge zugeleitet. In den meisten Fällen wird mit der Kündigung gleichzeitig ein Vorschlag gemacht, was der neue Tarifvertrag enthalten soll. Der Verband unterrichtet dann seine Mitgliedsfirmen von der Kündigung der Tarife und den Forderungen der Gewerkschaftskommissionen und fordert eine Stellungnahme an.

Nachdem die Firmen sich über den ihrerseits zu machenden Vorschlag geeinigt haben, werden den Gewerkschaften Einladungen zu Tarifgesprächen übersandt. Leider muB immer noch mit jeder Gewerkschaft in getrennten Gesprächen verhandelt werden, da der Kommission der IG Bergbau von ihrer Gewerkschaftsführung Verhandlungen mit den Angestellten gemeinsam untersagt wurden. Durch diese uns unverständliche Forderung der IG steht bei allen Verhandlungen dem in sich geschlossen auftretenden Arbeitgeberverband eine zersplitterte Arbeitnehmerseite gegenüber.

Die eigentlichen Tarifgespräche werden in einem kleinen Kreis Delegierter, den Verhandlungskommissionen, geführt. Der Verhandlungskommission des Wirtschaftsverbandes Erdölgewinnung gehören Prof. Dr. Vetterlein und H. Raubenheimer an. Zur Verhandlungs kommission der DAG für die Arbeitnehmerseite gehört der Unterzeichnete. PRAKLA-SEISMOS ist damit in diesen Gremien ausreichend vertreten, um die Interessen der Firma und ihrer Belegschaft sicherzustellen.

In der ersten Verhandlung im April 1971 konnte keine Einigung über alle neuen Punkte des Manteltarifes erzielt werden. Es war daher auch nicht möglich -wie ursprünglich vorgesehen -zum

1. Mai 1971 die 40-Stundenwoche einzuführen. Erst in der Verhandlung im Mai kamen die Verträge zum Abschluß.

Ein von der Kommission der Angestellten-Gewerkschaft vorgeschlagenes Rationalisierungsschutzabkommen fand beim Wirtschaftsverband keine Zustimmung. Um aber die bis dahin erreichten Ziele, wie die Einführung der 40-Stundenwoche, nicht durch neue Verhandlungen noch weiter zu verzögern, wurde diese Frage bis zur nächsten Verhandlungsrunde zurückgestellt. Der neue Manteltarif konnte damit zum 1. Juni 1971 in Kraft treten. Der Vertragstext wird allen Betriebsangehörigen nach Drucklegung zugestellt.

Als wesentliche Verbesserungen enthält der neue Manteltarif die 40-Stundenwoche, ein tariflich verankertes Weihnachtsgeld von mindestens DM 300,- sowie die schon im Oktober 1970 vorweg genommenen Neuerungen und die Nichtanrechnung eines Sonnabends auf den Tarifurlaub (womit nun insgesamt 2 Sonnabende nicht auf den Urlaub angerechnet werden). In einem Zusatzvertrag wurde die Zahlung von vermögenswirksamen Leistungen durch die Betriebe festgelegt.

Ein Vertrag bleibt aber ein totes Stück Papier, wenn er nicht in den Betrieben zum Leben erweckt wird. Für den Betriebsrat und die Geschäftsführung von PRAKLA-SEISMOS bedeutet dies, den von den Tarifpartnern vorgezeichneten Weg auf unsere Gesellschaft abzustimmen. Als Beispiel die 4O-Stundenwoche:

Der Wunsch der meisten Betriebsangehörigen ging dahin, die Verkürzung der Arbeitszeit auf einen Tag zu legen. Als die Arbeitszeit im Januar auf 42 Stunden verkürzt wurde, hatte der Betriebsrat sich mit einer Verlängerung der täglichen Pausenzeit einverstanden erklärt, wenn alle zukünftigen Verkürzungen voll wirksam würden. Die 40-Stundenwoche stellte uns nun vor die Aufgabe, eine Arbeitszeitverteilung zu finden, welche die Wirtschaftlichkeit des Betriebes mit den Wünschen der Belegschaft nach zusammenhängender Freizeit in Einklang bringt. Dieses konnte nur dadurch erreicht werden, daß die täglichen Pausen auf das gesetzliche Mindestmaß von 30 Minuten herabgesetzt wurden. Das bedeutet, daß von Montag bis Donnerstag bei täglich 9 Stunden Anwesenheit im Betrieb 8% Stunden auf die Arbeitszeit entfallen. Hiervon ausgenommen sind die unter das Jugend-und Mutterschutzgesetz fallenden Betriebsangehörigen. .

Damit ergibt sich von Montag bis Donnerstag eine reine Arbeitszeit von 34 Stunden. Für den Freitag verbleiben 6 Stunden, die nach der Arbeitszeitordnung ohne Pause durchgearbeitet werden dürfen.

Durch das frühe Arbeitsende am Freitag -bei Ausnutzung der gleitenden Arbeitszeit -ist nun ein Dienstende um 13.00 Uhr möglich. Hiermit erübrigt sich am Freitag die Ausgabe eines Mittagessens im Betrieb. Die Kosteneinsparung kommt dem Betrieb, der· frOhe DienstschluB der Freizeit der Belegschaft zugute.

Der Betriebsrat hält diese Regelung für die gegenwärtig beste. Sie wird auch von der Mehrheit unserer Mitarbeiter begrüßt.

Für die AuBenbetriebe ist eine andere Arbeitszeitverteilung nötig, da hier, durch die Familienheimfahrten bedingt, ein anderer Arbeitsrhythmus eingehalten werden muß. So wird hier die Arbeitszeit gleichmäßig Ober die Woche verteilt oder den gegebenen Verhältnissen angepaBt.

Ab 1. Juni 1971 ist nun auch im gesamten Bereich der Zentrale die Gleitende Arbeitszeit eingeführt. Nach den üblichen Startschwierigkeiten wird diese Einrichtung in nächster Zeit sicher ihren Nutzen für den Betrieb und die Belegschaft beweisen. Die Betriebsangehörigen der Wiesenstraße haben ja bereits eine einjährige Erfahrung mit der Gleitzeit gesammelt. Wie das damalige Abstimmungsergebnis zeigte (94% für die Beibehaltung der Gleitzeit), ist die Idee der freien Arbeitszeit-Einteilung gut aufgenommen worden.

Wenn sich anfangs noch Unklarheiten über die Auslegung der " Spielregeln" (Betriebsvereinbarung Ober die Gleitende Arbeitszeit) ergeben sollten, stehen Betriebsrat und Personalverwaltung zur Klärung der Fragen jederzeit zur Verfügung.

W. Voigt
Betriebsratsvorsitzender