Report Datenbank php 7.x aufrufen Antarktis 1984/85
Aeromagnetik über dem Nord-Viktoria-Land
PRAKLA-SEISMOS Report 1+2 / 85

Antarktis, Aeromagnetik über dem Nord-Viktoria-Land
Dr. H. Chr. Bachem, Autor des folgenden Beitrags und Leiter der fünfköpfigen Antarktis-Gruppe unserer Gesellschaft, war bereits nach Deutschland zurückgekehrt, als er vom Abschuß der "Polar 3" durch die Polisario am 24. 2. 1985 erfuhr. Er beschrieb seine Gemütsverfassung nach diesem barbarischen Akt als depressiv auf Wochen hinaus. Sein Entschluß, den vergangenen Antarktissommer noch einmal in Wort und Bild erstehen zu lassen, war dann auch nicht Ausfluß einer oberflächlichen 'Life-must-go-on-Stimmung', sondern wurzelte in der Erkenntnis, daß man den auf so sinnlose Weise Getöteten keinen besseren Freundschaftsdienst erweisen könne, als ihnen ein ehrendes Andenken zu bewahren - wozu unsere Dokumentation beitragen möge.

Das Meßgebiet in der Antarktis und die für uns wichtigen Stationen. (Die in Report 4/84 auf Seite 19 falsch eingetragene Lage der G.-v.-Neumayer-Station findet sich hier berichtigt.)

Geowissenschaftliches Forschungsprojekt Antarktis
Die Antarktis ist für unsere Gesellschaft längst keine Terra incognita mehr. Drei Meßfahrten der VS EXPLORA zur Akquisition seismischer, gravimetrischer und magnetischer Daten untermauern diese Feststellung:

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Die zweite Meßkampagne fand gleichzeitig mit der geologischen Expedition GANOVEX 1 ( German Antarctic North Victoria Land E xpedition) statt. Auch später, im Rahmen von GANOVEX II und III, durchforschten Geologen der BGR das Nord-Viktoria-Land, das vom Transantarktischen Gebirge trat seinen fast 4000 m aufragenden Gipfeln beherrscht wird. Zahlreiche eisfreie Felswände eröffnen ein ebenso schwieriges wie geologisch ergiebiges Arbeitsfeld. Die bisherigen Teilergebnisse stützen die Annahme - und damit auch das Wegenersche Konzept - daß die Antarktis ein Teil des Urkontinentes Gondwana darstellt und vor dem Auseinanderdriften von den Kontinenten bzw. Subkontinenten Südamerika , Afrika, Indien und Australien umschlossen war.


Abflug mit einer 'Star Lifter' von Christchurch, Neuseeland, zur amerikanischen Antarktisstation McMurdo

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McMurdo, das größte Gemeinwesen in der Antarktis. Deutlich ist die Verbindung zum Flugfeld erkennbar. Im Hintergrund der noch tätige Vulkan Mt. Erebus (3794 m).
'Survival-Training'.Die Überwindung einer Gletscherspalte wird geübt

Zwischen dem Meßgebiet der EXPLORA , einer kleineren vom US Geological Survey (USGS) vermessenen Region und den feldgeologisch erforschten Gebieten breitete sich ein großer, noch weißer Fleck auf der geologischen Karte aus. Ihn mit Daten auszufüllen, war die Aufgabe der 16köpfigen Aeromagnetik-Meßgruppe von GANOVEX IV*). Diese Expedition stand, wie die vorangegangenen, unter Leitung der BGR, die zusammen mit Wissenschaftlern verschiedener Universitäten auch geologische und geophysikalische Forschungen durchführte.

*) Zusammensetzung der Gruppe: BGR: 1 Geophysiker, 1 Meßingenieur; USGS; 1 Geophysiker; DORNIER: 4 Piloten/Navigatoren, 2 Flugzeugmechaniker; Ingenieurgesellschaft für Interfaces IGI: 1 Geodät, 1 Elektroniker; PRAKLA-SEISMOS: 2 Meßtechniker, 2 Auswerter, 1 Geophysiker.

Land und Leute - Politik
Die antarktische Landmasse bedeckt, zusammen mit den Eisschelfregionen, eine Fläche von etwa 13 Mio km2, ist also rund 50mal so groß wie die Bundesrepublik. Als letzter Kontinent der Erde rückte sie während des 18. und 19. Jahrhunderts in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit. Aber erst in unserem Jahrhundert begann die systematische Erforschung dieser entlegenen, gigantischen Eiswüste.

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McMurdo. Mehr oder weniger feste Gebäude auf Vulkanasche gebaut
Der rauchende Mt. Erebus, betrachtet von H. Engelhardt und R. Lamers, Universität Münster (Eisdickenmessung), von der 'Arrival Height' aus

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Kontrolle des Kreiselkompasses mit einem Bussolentheodoliten bei laufenden Motoren

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Der Landeplatz 'Browning-Paß' mit Blick zur Eisenhower-Range jenseits des Priestley-Gletschers. Im Sensorträger (rechts oben) ist das Magnetometer untergebracht. Personal und Fracht werden von den Hubschraubern zur 10 km entfernten GONDWANA-Station geflogen.

Die Schnee- und Eismassen sowie das unwirtliche Klima stellen sich einer 'normalen' Besiedelung entgegen. Kaum mehr als 3000 Wissenschaftler und Techniker behausen während des Süd-Sommers die zahlreichen Basisstationen oder durchforschen den Kontinent, und nur rund 300 überwintern und igeln sich ein für die monatelange Polarnacht.

1979 trat die Bundesrepublik als 14. Land dem Antarktisvertrag bei. Er stellt eine Art Schutzschild für den letzten Freiraum unserer Erde dar und läuft 1991 aus. Gebietsansprüche sind bis zum Abschluß eines neuen Vertrages zurückgestellt. Ist die Behauptung vermessen, daß der status quo am Wohle aller einer Katzbalgerei um Gebiete und Einflußzonen vorzuziehen wäre?

Wie jedermann weiß, blieb auch die Bundesrepublik am Ball: In der Atka-Bucht auf 8° westlicher Länge kam es zur Einrichtung der Georg-von-Neumayer-Station, während im Viktoria-Land (ca. 160° östlicher Länge) die GANOVEX-Programme über die verschneite Bühne gingen, auf deren IV. und bisher letzte Phase wir uns konzentrieren wollen.

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Entladung eines 'Polar'-Flugzeuges auf dem Browning-Paß








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Nord-Viktoria-Land

Im Brennpunkt unseres Berichtes steht also das Nord-Viktoria-Land, seit sechs Jahren Arbeitsfeld der BGR-Geologen. Das Gebiet liegt zwischen der Ross-Insel und dem magnetischen Südpol und damit Neuseeland gegenüber. Vor dem Abfluß ins Rossmeer staut die Transantarktische Gebirgskette das Inlandeis bis auf eine Höhe von 2500 m auf. Benannt wurde die Region nach der englischen Königin Victoria, Benenner war Captain Ross, der 1841 mit seinen Segelschiffen EREBUS und TERROR als erster die später nach ihm benannte Insel und die rund 50 m hohe Barriere des Ross Schelfeises erreichte. Ausgedehnte Landvorstöße der Scott Expedition erfolgten 1911 bis 1913. Berge und Gletscher, besonders in der Umgebung der deutschen GONDWANA Station, tragen die Namen von Expeditionsteilnehmern: Priestley, Campbell, Abbott, Dickason und Browning. Heute wird die Erforschung der Region durch die ständig besetzten Stationen McMurdo (USA) und Scott-Base (Neuseeland) mit dem Flughafen Williamsfield, dem größten der Antarktis, ermöglicht und erleichtert.

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Schmelzwasser kommt den Zelten zu nahe. Imagess im Hintergrund Mt. Melbourne (2700 m), der Hausberg von GONDWANA
Der Autor neben äolisch gestalteten präkambrischen Gneisen. Der Granatreichtum dieses Gesteins eröffnet den Hobby-Suchern reiche Gründe.

Projekt 'Aeromagnetik Nord-Viktoria-Land'
Die Vorbereitungsphase

Während der gründlichen Vorplanung des Projektes Aeromagnetik durch die BGR brachte das Jahr 1983 die ersten konkreten Schritte: PRAKLA-SEISMOS erhielt den Auftrag, das Meßflugzeug Dornier 228-100 "Polar 2" des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung (AWI) auszurüsten. In Report 1 +2/84 haben wir ausführlich über die Installation der aeromagnetischen Meßapparatur und der Navigationsanlage durch PRAKLA-SEISMOS berichtet.

Während der ersten Meßkampagne der "Polar 2" in der Westantarktis 1983/84, die bezüglich der Aeromagnetik als Test zu werten war, liefen die Planungsarbeiten für die nächste (und hier beschriebene) Saison in Hannover auf vollen Touren. Im Rahmen einer Studie war von uns zu untersuchen, wie in einem schwierigen Gebiet mit bordeigenen Navigationsmitteln zu operieren ist und wie präzise die Meßergebnisse später zu positionieren sind. Und 'schwierig' heißt in unserem Falle:
  • Nähe zum Magnetpol, der jeden Kompaß versagen läßt
  • riesige Offshore-Anteile der zu vermessenden Fläche.

  • Nach umfangreichen Recherchen gelang es schließlich, ein geeignetes bodengestütztes Navigationssystem herauszufinden ). Bei den späteren Messungen zeigte der Prototyp des Rechners allerdings einige Schwächen, die durch großen persönlichen Einsatz des fliegenden Personals kompensiert werden mußten.

    Eine Meßkampagne in der Antarktis ist ohne umfangreiche logistische Planung und Absicherung nicht möglich. Zum Glück war es der BGR gelungen, eine Arbeitsteilung mit den amerikanischen Polarforschungsinstitutionen zu vereinbaren. Dadurch wurden Mittel frei, um ein zweites Meßflugzeug vom Typ Dornier 228 anzumieten - die "Polar 3" - und mit einer von der PRAKLA-SEISMOS gemieteten aeromagtischen Meßapparatur auszurüsten. Das ursprünglich vorgesehene Meßgebiet wurde auf. Vorschlag der amerikanischen Seite um einen 250 km breiten Streifen in südlicher Richtung ausgedehnt. Als Gegenleistung stellten die Amerikaner die Transportkapazität ihrer Frachtflugzeuge sowie flugtechnische Einrichtungen und Treibstoff zur Verfügung und sorgten für eine vorzügliche Unterbringung des deutschen Personals in McMurdo, wann immer dies nötig wurde.

    *) Es basiert auf einem INTERROGATOR (TRIDENT III von Thomson CSF) im Flugzeug, der über eine Antenne ca. 60 Impulse pro Sekunde abstrahlt. Sie werden von sog. Beacons am Boden aufgefangenn und verstärkt zurückgesendet. Wenn das Flugzeug mindestens zwei Beacons gleichzeitig empfängt. ergeben sich aus den Laufzeiten der Impulse zwei Strecken. Ein integrierter Rechner der Firma Ingenieurgesellschaft für Interfaces (IGI) nutzt sie zur Bestimmung der aktuellen Flugzeugposition. Das Gerät wurde als 'Computer Controlled Photogrammetric Navigation System' (CPNS) entwickelt. Seine hohe Genauigkeit wurde nicht ausgeschöpft, dagegen macht sich vorteilhaft bemerkbar, daß beim Start des Systems keine Näherungsposition benötigt wird.

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    Die 'Biwak-Schachtel' alias Zentrale. Untergebracht ist hier die Expeditionsleitung, der Funker und das PRAKLA-SEISMOS'Großraumbüro'

    Schlaglichter einer Meßkampagne

    Worüber soll ich nun berichten? Das Tagebuch hilft weiter, wenn es auch schwerfällt, eine Auswahl zu treffen und Ereignisse, ja ganze Tage unter den Tisch fallen zu lassen. Beginnen wir also mit dem

    07.11.84:   Die Hauptgruppe der GANOVEX IV-Teilnehmer trudelt in Christchurch, Neuseeland, ein.
    Die einen waren ostwärts in drei 'kurzen' Tagen, die anderen westwärts in zwei 'langen' Tagen angereist. In der Niederlassung der amerikanischen 'National Science Foundation' (NSF) treffen sich die Expeditionsteilnehmer, um Instruktionen über die Weiterreise in die Antarktis entgegenzunehmen.

    09.11.84:   Um 4 Uhr morgens steigen wir in unsere Antarktisklamotten.
    Der Abflug mit dem Truppentransporter ist auf 8 Uhr angesetzt. Um 6 Uhr erfolgt Entwarnung: Die Landebahn in McMurdo sei noch verweht. Abflug voraussichtlich morgen... Die Verschiebung kommt allen entgegen, die noch unter der zwölfstündigen Zeitverschiebung leiden.

    11.11.84:   64 Mann und 20 Tonnen Fracht landen nach 6 stündigem Flug auf der Eispiste
    'Williams Field'. Mehrere 'Deltas', schneegängige Fahrzeuge mit riesigen Reifen, bringen die Neuankömmlinge nach McMurdo, der größten 'Stadt' der Antarktis. Im 120-Betten-Hotel 'California' bekommen wir einen Schlafsaal zugewiesen. Der örtliche NSF-Direktor klärt uns über unsere Rechte und Pflichten in der Antarktis und speziell in McMurdo auf und legt uns besonders den Schutz der Tierwelt ans Herz. Die Verpflegung in der 'Galley', der von der US Navy betriebenen Kantine, ist wirklich ausgezeichnet.
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    Tinker-Gletscher aus 3000 m Höhe beim Anflug ins Meßgebiet aufgenommen. Die Eiskante erreicht 30 m Höhe.
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    12.11.84:   Abends beginnt bei den Kiwis', wie sich die Neuseeländer scherzhaft nennen, das
    'Survival-Training', ein 2tägiges Pflichtprogramm für jeden Antarktis-Reisenden. Klettern am Seil mit und ohne Steigeisen, Gehen in der Seilschaft, Umgang mit der Eisaxt - z. B. als Bremse bei unfreiwilligen Talfahrten - gehören zu den praktischen Übungen.

    14.11.84:   Die Übernachtung im selbstgebauten Iglu bei -15° C und notdürftiger Ausrüstung ist
    überstanden. Bei derartig keimfreier Luft bekommt keiner einen Schnupfen. Es erfordert einige Geschicklichkeit, mit dem Primuskocher Schneebrocken aufzutauen, ohne daß der dünne Alu- Topf durchbrennt. Bei Bohnensuppe und Trockenbuletten entwickelt sich nur mäßiger Frühstücksappetit. Alle sind ein bißchen stolz darauf, die Nacht im Iglu bewältigt zu haben. - Schon vor zwei Tagen hätten die beiden Flugzeuge "Polar 2" und "3" eintreffen sollen, doch bisher liegt keine genauere Nachricht vor, als daß sie Südamerika inzwischen verlassen haben. Funkverbindungen zur antarktischen Halbinsel sind nicht möglich wegen der besonderen Eigenschaften der Ionosphäre in Polnähe.

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    16.11.84:   Eine Hercules-Transportmaschine bringt den Großteil der Mannschaft nach GONDWANA.
    'Während die geophysikalischen Boden-Meßgruppen der BGR ihre Messungen vorbereiten und die Geologen sich von den Hubschraubern ins Feld fliegen lassen, installieren unsere beiden Auswerter das PRAKLA-SEISMOS-Büro in der Biwak-Schachtel. Wir in McMurdo Zurückgebliebenen können nur warten. Angeblich sind unsere beiden Flugzeuge heute in Rothera angekommen. Wenn das Wetter mitspielt, können sie in vier Tagen hier sein.
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    23.11.84:   Ankunft der "Polar 2" und "3" in McMurdo. Beide Maschinen hatten in der FILCHNER-Station
    kalte Füße bekommen: Dichtungsprobleme der Hauptfahrwerkshydraulik. Die Maschinen werden aufgebockt und die Federbeine wieder aufgepumpt. Der Einbau der Meßapparaturen verzögert sich...

    30.11.84:   Die Hydraulikprobleme sind inzwischen mit amerikanischer Hilfe gelöst. Der Einbau
    der Meßapparaturen läuft wie am Schnürchen. Testflüge konnten schon an den Vortagen absolviert werden, kombiniert mit einigen Frachtflügen nach GONDWANA. Die Mitglieder des Vortrupps haben inzwischen die meisten der Navigations-Beacons installiert, leider unter Aussparung der höchsten Gipfel, da die französischen Ecureuil-Hubschrauber in Höhen über 3000 m keine schwierigen Start- und Landemanöver ausführen können.

    02.12.84:   Die Apparaturen arbeiten zufriedenstellend. Überführung beider Flugzeuge nach
    GONDWANA. Während "Polar 3" als Frachtflugzeug fungiert, fliegt die "Polar 2" ein Kontrollprofil ab und landet nach zwei Stunden auf dem Browning-Paß, einem kleinen Gletscher 10 km von GONDWANA entfernt. Einer der drei Ecureuil-Hubschrauber dient heute und in Zukunft als Taxi zum Camp. Jeder findet einen Schlafplatz in einem der pyramidenförmigen Scott-Zelte. Die Ränder der Außenzelte werden mit Steinen beschwert. Der lockere Boden bietet Heringen keinen Halt. Isoliermatten trennen die Einrichtung — Luftmatratze, Alu-Matte, 2 Schlafsäcke und eine Alu-Kiste als Schrank - vom nackten Boden. Schnee liegt kaum noch. Das große 'Briefing' am Abend in der engen Biwak-Schachtel könnte Furcht einflößen. 15 Leute umdrängen einen kleinen Tisch. Piloten und Navigatoren haben noch keine Erfahrung in der Magnetik-Meßfliegerei. Wenn wir bloß zu Hause mehr hätten üben können! Aber die Zeit war viel zu knapp gewesen.
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    Zusammenfluß. des Bumerang- und Browning-Gletschers. Gewaltige Eismassen schieben sich über die Barriere des Antarktischen Gebirges hinweg dem Meer entgegen.

    03.12.84:   Die ersten Meßflüge im Gebirge liefern wichtige Erfahrungen. Das CPNS-System fällt
    zeitweise aus. Dann steht nur das RADAR-Doppler-Kompaßsystem zur Verfügung, das selbst für erfahrene Navigatoren hier in der Nähe des Magnetpols höchste Anforderungen stellt. Wir lernen, die Landschaft in der topographischen Karte wiederzuerkennen. 1 km ist nur 4 mm groß abgebildet. Die Karten sind vor 20 Jahren entstanden. Einzelne Felsen können inzwischen vom Eis bedeckt, andere neu hervorgetreten sein. Die Landschaft wirkt gewaltig, die Sicht ist grenzenlos. Das Flugzeug scheint sich kaum zu bewegen. Wir fliegen in 3700 m Höhe über NN. Offiziell ist noch kein Sauerstoff mitzuführen, aber das Atmen fällt schwer, die Augenlider werden bleiern.

    06.12.84:   Die Meßfliegerei wird allmählich zur Routine. Wir haben große Probleme mit der
    Verpflegung. Aber auch diese werden kleiner mit der Zeit. Da wir auf einen Koch verzichten mußten, kommt jeder abwechselnd an die Reihe mit dem Küchendienst. (Kulinarische Sternstunden gab es in der Zeit von Mitte November bis zum Beginn der Fliegerei, nachdem die beiden PRAKLA-Auswerter H. Arndt und G. Lüer ihr Büro eingerichtet hatten und nun als Köche die gesamte Mannschaft verwöhnten.) - Größere Sorgen als rein kulinarische bereiten uns oft Wind und Wetter. Ein Beispiel: "Polar 3" muß bei 40 Knoten Windgeschwindigkeit und starker Schneedrift quer auf dem Browning-Paß landen. Der Pilot zieht alle Register, um den Vogel nach der Landung beizudrehen, doch der Sturm drückt das Leitwerk immer wieder zurück. Auch ein weiterer Drehversuch in 2 km Entfernung mißlingt. In einem Windloch gelingt endlich die Drehung, wobei der linke Propeller zieht, während der rechte die Luft nach vorn drückt. 'Kleinpfaffenhofen' - so nennen wir den Flugplatz in Anlehnung an den Heimatflughafen Oberpfaffenhofen - ist nicht auszumachen. Die Schneedrift muß mehrere Meter hoch reichen. Behutsam läßt der Pilot die Maschine vorwärtsgleiten. Der linke Propeller wirbelt eine dichte Schneewolke auf, und das Triebwerk bleibt stehen. Ob wir uns hier auf eine Nacht einrichten müssen? Plötzlich ein fremdes Geräusch: die beiden Flugzeugmechaniker haben sich auf ein 'Skidoo', eine Art Schneemotorrad, geschwungen und die "Polar 3" nach Gehör geortet. Der Browning-Paß ist frei von großen Gletscherspalten, die Fahrt durch die milchige Luft also ziemlich ungefährlich. Wir erreichen 'Kleinpfaffenhofen' 15 Minuten später. Erst nach weiteren 12 Stunden treffen wir in GONDWANA ein. Während auf dem Paß der Wind nachgelassen hat, ist er in der Station auf 60 Knoten angeschwollen. Zuviel für unseren Taxi-Hubschrauber.
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    16.12.84:   Das schöne Wetter kommt der Arbeit zugute. Fast 14 000 km sind schon gemessen. Die
    Flugzeuge absolvieren abwechselnd einen oder zwei Meßflüge pro Tag. Mehr ist den Mannschaften nicht zuzumuten, denn auch das Camp fordert einen Teil der Arbeitskraft. Heute sollen einige Linien weit westwärts im Inlandeis geflogen werden. Nicht weit vom Camp der Geologen entfernt, an den Frontier-Mountains und eine Flugstunde nordwestlich von GONDWANA, hat vor drei Wochen eine Hercules-Transportmaschine Kerosin deponiert. "Polar 2" und "3" sollen dort auftanken und je zwei lange Profile fliegen, die 200 km über das eigentliche Meßgebiet hinausragen. An diesem Tag zeigt sich die Antarktis unberechenbar. Der letzte Sturm hat die Schneeoberfläche zu einem groben Waschbrett ausgeformt. Die Sastrugis - so werden die harten Schneewehen genannt - erreichen 50 cm Höhe. Die Sonne scheint aus der Richtung des Windes, der die Sastrugis erzeugt hat: kein Schatten läßt also die Gefahr erkennen. Nach prüfendem Überflug landet "Polar 2" in der deutlich sichtbaren Hercules-Spur. Das Flugzeug rumpelt über die rauhe Fläche, bleibt aber manövrierbar, bis es von einem hohen Sastrugi angehoben wird und mit etwa 30 Knoten auf den nächsten Sastrugi aufschlägt. Wären Flugzeug und Einbauten nicht so grundsolide, es hätte wirklich zu dem geführt, was 'Bild' vom 19. Dezember hinausposaunte: "Bauchlandung im ewigen Eis". So ist aber nur ein Schaden am Bugski und der Fahrwerks hydraulik feststellbar. Immerhin: ohne einen neuen Bugski darf die "Polar 2" nicht wieder starten. (Vier Wochen sollten ins Land gehen, bis ein neuer Ski montiert und von einem lizenzierten Prüfer abgenommen war. "Polar 2" flog jetzt wieder, aber leider nicht mehr als Meßflugzeug.)

    Weihnachten:   Funkstille. Der Grund: Heute kocht der Funker. Er steht den ganzen Tag in der Küche,
    um den Weihnachtsschmaus zuzubereiten. Das Wetter benimmt sich nach Plan: Am 24. soll nicht geflogen werden, auch nicht gearbeitet. Heute ist wirklich alles dicht. Die Wolken hängen tief, es schneit. Absolut kein Flugwetter. Wir frösteln bei Temperaturen um Null Grad. Wer nicht in der Küche mitwirkt, bewaffnet sich mit Hammer und Meißel, um Granate zu suchen. Unterhalb der Station finden geschickte Schürfer die schönsten Exemplare mit bloßen Händen im Schutt zwischen großen Felsblöcken. - Das festliche Essen bleibt in guter Erinnerung, obwohl die üppigen Steaks auf den Flammen der kleinen Campingkocher nicht ganz gar geworden sind.

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    Flugplatz 'Willy III' bei McMurdo, in diesem Jahr auf dem Schelfeis fertiggestellt. In etwa 10 Jahren wird er so nahe an die Eiskante vorgerückt sein, daß er aufgegeben werden muß. - Airfield 'Willy III' near McMurdo completed this year an the shelf ice. In about 10 years the airfield will have advanced so near to the ice edge that it will have to be abandoned.

    Silvester:   Wie zu Weihnachten herrscht trübes Wetter, das absolut nicht zum Fliegen geeignet ist.
    (War auch nicht geplant gewesen!) Wir feiern also. - In letzter Zeit wird das sonst tiefe, makellose Himmelsblau durch ausgedehnte Wolkenfelder beeinträchtigt. Bevorzugt tauchen sie in 2000 ft Höhe auf, und das ist ausgerechnet die Soll-Höhe für unsere Meßflüge offshore. Sobald wir da fliegen, gibt es Probleme: Schon nach kurzer Zeit setzt Eis am Flugzeug an. Normalerweise wäre der Meßflug jetzt abzubrechen. Die Wolken reichen bis 3500 ft. Nach kurzem Steigflug setzen wir das Profil in konstanter Höhe fort. Die Qualität der späteren Auswertung wird unter dem Höhenwechsel allerdings leiden: Aeromagnetische Messungen verlangen eine konstante Flughöhe für alle Meßprofile. Die Stärke des Erdmagnetfeldes nimmt mit der Höhe ab, ein leicht kalkulierbares Phänomen, solange das Magnetfeld ungestört ist. Aber im Bereich der für uns so bedeutsamen Anomalien gelingt eine Reduktion auf das vorab festgelegte Bezugsniveau nur mit großem Aufwand und mit schlechter Annäherung. Wir haben diese Nachteile in Kauf zu nehmen. Jedes Profil trägt zum flächenhaften Bild der Anomalien bei, auch wenn die Messung unter unvollkommenen Bedingungen erfolgte. Und jeder abgebrochene Meßflug bedeutet Verzicht auf Informationen, denn die kurze Meßperiode läßt keine Wiederholungsflüge zu.

    Neujahr:   Die Silvesterpause hat uns neue Kräfte verliehen: Wir fliegen über neun Stunden,
    produzieren mehr als 1500 Profilkilometer. Die Auswerter in der Biwak-Schachtel stöhnen. Die heutigen Messungen werden uns noch lange zu schaffen machen. Vereisung an Tragflächen, Propellern und Windschutzscheibe lassen sich nur durch elektrische Beheizung verhindern, die, in Intervallen automatisch eingeschaltet, störende Magnetfelder erzeugt: Wir registrieren Treppenkurven. Solche Schein-Anomalien können später von einem aufmerksamen Daten-Reparateur' erkannt und weitgehend entschärft werden.

    13.01.85:   Der nördliche Teil des Meßgebietes ist nahezu vollständig vermessen. Einige Lücken
    müssen in Kauf genommen werden. Auf dem letzten Profil des Tages gibt GONDWANA Schlechtwetterwarnung: Der Browning-Paß zieht zu! Und ausgerechnet heute hat McMurdo Funkprobleme, kommt als Ausweichflughafen also nur für den Notfall in Frage. Innerhalb von 10 Minuten muß "Polar 3" von 12 000 ft auf Meereshöhe sinken. Wehe dem, dessen Druckausgleich im Ohr nicht funktioniert! Kurz bevor die Wolken die letzten Lücken schließen, schlüpft unser Flugzeug zum Browning-Paß durch und legt eine perfekte 'White-out' Landung hin.

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    15.01.85:   Rückzug nach McMurdo. Eine Hercules schafft die Aero-Gruppe und ihre Gerätschaften
    zum Schelfeisflugplatz 'Willy III', während "Polar 3" die Rückverlegung mit der, Messung eines Kontrollprofils verbindet. Die übrigen Meßgruppen haben GOND WANA jetzt ganz für sich. - Wir sind der Zivilisation einen erheblichen Schritt näher gerückt. Zwar müssen wir die individuellen Scott-Zelte mit einem Gruppenquartier in einem Jamesway-Zelt vertauschen, doch gibt es hier Duschen, eine Sauna und Waschmaschinen. Die größte Erleichterung bringt das Kino von 'Willy III , das wir zum 'Großraumbüro' umfunktionieren dürfen.

    21.01.85:   Die Arbeit schreitet munter fort. Nur noch Flüge über See stehen aus. Sie reichen so weit
    nach Osten, daß die Navigations-Beacons hinter dem Horizont verschwinden. Wir verlängern einige Profile durch einen Steigflug bis in 10 000 ft Höhe, können jetzt ein oder gar zwei Beacons empfangen und so das Profilende stützen. Mehrfach geraten wir dabei über die Datumsgrenze hinaus (180° Länge) und zurück ins 'Gestern'.

    26.01.85:   Der letzte Meßflug. An einigen Stellen mit interessanten Anomalien verdichten wir das
    Profilnetz durch zusätzliche Linien. Sofort nach der Landung gibt es kalifornischen Sekt aus Pappbechern. Beschwingt machen wir uns an den Ausbau der geophysikalischen Geräte und bereiten die Polarflugzeuge für den Heimflug via Südpol vor.

    28.01.85:   Beide Flugzeuge starten planmäßig von McMurdo und überqueren den antarktischen
    Kontinent. Niemand von uns ahnt, daß er die Besatzung von "Polar 3", die Piloten Herbert Hampel, Richard Möbius und den Mechaniker Josef Schmid an diesem Tag zum letztenmal
    gesehen hat.

    Ein Fazit zum Schluß

    Fast 50 000 Profilkilometer haben wir vermessen, rund 44 000 mit "Polar 3" und etwa 6000 mit "Polar 2". Diese respektable Leistung, die auch in wirtlicheren Breiten keine Selbstverständlichkeit darstellt, gibt Aufschluß, wie gut unsere heterogene 16köpfige Mannschaft letztlich doch zusammengearbeitet hat. Leistungsfördernd betrug sich das meist freundliche Wetter. Die entscheidende Rolle aber spielte die Zuverlässigkeit der "Polar 3" und der PRAKLA-SEISMOS Meßapparaturen. Auch das darf - bei aller Bescheidenheit - ruhig einmal deutlich ausgesprochen werden.

    Dr. H. Chr. Bachem