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Flachwassermessung vor Tunesien
oder: Flacher geht's nicht mehr!
PRAKLA-SEISMOS Report 1+2 / 83 Flachwassermessung vor Tunesien
Flachwassermessung vor Tunesien


Im REPORT 2+3/82 hatten wir eine Flachwassermessung vor Tansania beschrieben und speziell die Technik der Landanschlüsse in den Vordergrund gestellt. Welch besondere Herausforderungen — und Lösungen — eine Messung vor Tunesien Anfang dieses Jahres mit sich brachte, schildert der nun folgende Bericht.

Das Problem...

Verlängert ein Flachwassermeßtrupp seine Offshore-Profile auf festes Land, so ist dies beileibe nichts Außergewöhnliches, besonders dann nicht, wenn die Sender - Luftpulser - im Wasser bleiben und nur die Empfänger 'an Land gehen'. Dies gilt als Regel, wenn ein verbindendes Onshore-Profil längs der Küstenlinie verläuft und an den Kreuzpunkten eine ausreichende Untergrundüberdeckung durch entsprechend weites Landeinwärtsschieben der Geophonauslagen erzielt werden kann. Was aber, wenn das nächste Onshore Profil ein Stück im Landesinneren liegt oder wenn die Klärung komplexer Tektonik eine detaillierte Vermessung erfordert? Oder wenn gar eine breite Zone extrem niederen Wassers selbst unseren flachsten Flachwasserschiffen den Einsatz verdirbt? Dann greift man zur Sprengstoffpatrone oder zur Sprengschnur. Auch dafür sind unsere Flachwassermeßtrupps eingerichtet. Doch was soll geschehen für den Fall, daß aus Umweltschutz- und Sicherheitsgründen auf den Einsatz von Sprengstoff überhaupt verzichtet werden muß?

Flachwassermessung vor Tunesien


Diese Frage stellte sich vor dem Beginn unserer Messungen in Tunesien. Das Mittelmeer ist im Meßgebiet, dem Raum um Sfax, sehr flach, so daß Ebbe und Flut trotz des geringen Tidenhubs von maximal 1,20 m eine ausgedehnte Wattenlandschaft bilden. In dieser Zone 'sprengstofflos' zu operieren, konnte nur bedeuten: Einsatz von Luftpulsern bei Flut in extrem flachem Wasser — wenn auch nicht vom regulären Meßschiff aus betrieben. Wie aber sonst?

Flachwassermessung vor Tunesien


Flachwassermessung vor Tunesien


Flachwassermessung vor Tunesien
...und die Lösung

Man könnte von drei erfolgreichen 'Premieren' sprechen, die auch die Lösung unseres Problems mit einschließen:

Flachwassermessung vor Tunesien

Ein Schlauchboot wird beladen

Die Ortbestimmung mit dem neuen Navigationsverfahren Syledis von Sercel gehörte fast schon zur Routine.

Die Durchführung der Vermessung erfolgte in drei Abschnitten, die sich in der Verfahrenstechnik erheblich voneinander unterschieden und somit hohe Anforderungen an die Flexibilität des Meßtrupps bei der Planung und Ausführung der Arbeiten stellten. In unserer schematischen Ubersicht auf den Seiten 46 und 47 finden sich diese Abschnitte mit "Tiefwasser", "Flachwasser" (gemeint ist hier das extreme Flachwasser) und "Land" gekennzeichnet und darin eingezeichnet die wesentlichen Informationen über die angewandten Methoden und das verwendete Material.

Flachwassermessung Tunesien
Flachwassermessung vor Tunesien
Ponton auf Messfahrt
Zwei Luftpulserkanonen in Ruhestellung
Überholung eines Schlauchbootes
Flachwassermessung vor Tunesien
Flachwassermessung vor Tunesien
Kapitän H.Tramborg auf der Brücke der SOLEA
SOLEA vom Ponton
aus gesehen


Flachwassermessung vor Tunesien
Ponton mit BesatzungVerlegung eines Grundkabels

Flachwassermessung vor Tunesien
großes Bild...

Schematisierte Darstellung einer Flachwassermessung mit Landanschlüssen, unter Verwendung eines Flachwassermeßschiffs, eines Pontons für den Wattbereich sowie zweier Vibratoren für die Weiterführung der Profile auf festen Grund.
Die Registrierung erfolgt auf dem Meßschiff. Seit neuestem findet sich die seismische Apparatur in einem transportablen Meßcontainer untergebracht und kann bei Bedarf auf ein Ponton übergesetzt werden, was ihren extrem mobilen Einsatz ermöglicht und Kabelverlängerungen über größere Distanzen hinweg unnötig macht.

Das verkabelte Watt

Zunächst kam das Leichte: Mit Luftpulsern und Streamer und der üblichen Routine wurden die Linien im tieferen Wasser 'abgeschossen'. Die eigentliche Arbeit aber lag im kleineren Rest: im Flachwasserbereich. Der küstennahe Teil hiervon ist Watt, fällt also periodisch trocken. Die geringe Neigung des Grundes bewirkt ein schnelles Überfluten und Trockenfallen weiter Flächen.

Die Gezeiten bestimmten somit den Arbeitsrhythmus. Denn nur Hochwasser ermöglichte das Befahren großer Areale. Da der Wind die Eintrittszeiten von Ebbe und Flut wenig beeinflußte, waren die Meßperioden gut zu planen. Auch baute der Wind kaum hohe Wellen auf, griff aber die Boots- und Schiffsaufbauten unablässig an und sorgte so für Unruhe und Turbulenzen, wo immer er konnte.
Flachwassermessung vor Tunesien
Die Fahr- und Arbeitsweise des Pontons bei geschickter Ausnutzung des Windes zeigt die obere Skizze.

Da unser Meßgebiet sehr intensiv befischt wurde, stießen die Flotten der Fischer und der 'Petrol'-Leute häufig aufeinander. Doch gegenseitige Rücksichtnahme verhinderte die 'Seeschlacht vor Sfax'. Allerdings geboten die vielen Netze, das Gebiet nur bei Tageslicht zu befahren. Eine weitere Behinderung: Der Seetang wuchs in Feldern, wickelte sich um die Schrauben der Boote und verstopfte die Kühlwasser-Ansauger.
Flachwassermessung vor Tunesien


Im Flachwasserbereich hatten wir mit Grund-(Bay-)Kabeln zu arbeiten, bestückt mit Hydrophonen und - in den flachsten Abschnitten — mit Gimbalphonen und Marsch-Geophonen. Die Grundkabelteilstücke waren über Wasser aneinander gekoppelt und über Verlängerungskabel mit dem Meßschiff verbunden.

Es mußte unser Bestreben sein, die SOLEA möglichst dicht an die Küste heranzuschieben, denn vier der Meßlinien hatten wir an Land fortzusetzen. Zwei VVDA-Vibratoren standen bereit und nahmen unmittelbar nach dem letzten Pop die Arbeit auf. Doch wer oder was verrichtete den allerletzten Pop im flachsten aller Gewässer?

Unser Ponton!

Seine beiden Schlauchboot-Schwimmkörper sind 13 m lang und zusammen 5 m breit. Sie tauchen 40 cm ins Wasser ein und tragen dabei einen 20-Fuß-Container, in dem die Steuerungs- und Versorgungseinrichtungen für die Luftpulser untergebracht sind. Die Luftpulser hängen einzeln an Galgen - zu vieren auf jeder Seite. Ihre Eintauchtiefe ist während der Arbeit stufenlos zwischen 0,5 m und 2 m verstellbar. Ein Kompressor liefert den Druck für die 2,51 Luft, die bei jedem Schuß die gewünschte Energie erzeugen.

Flachwassermessung vor Tunesien
Ein Mann bedient und überwacht diese Technik, sorgt dafür, daß den Kanonen die Luft nicht ausgeht, daß die Schüsse exakt 'gebündelt' fallen. Hoch auf dem Dach thronen der Steuermann und ein Beobachter und führen den selbstfahrenden Ponton an der Linie entlang. Sie 'beschießen' die Meßkabel auf markierten Positionen in Radio-Abstimmung mit dem Operator auf dem Meßschiff, der die Schüsse registriert.






Seit den ersten Erprobungsfahrten im Herbst 1982 sind Ausrüstung und Arbeitsweise des Pontons ständig verbessert worden. Einige Stationen:

  • Die ursprünglich sehr 'statische' Methode ist einer 'dynamischen' gewichen. Zunächst wurde der Ponton zur Abgabe der geplanten 10 Stapelschüsse an jeder Position verankert. Als Tests ergaben, daß bereits eine vertikale 4fach-Stapelung die gewünschte Qualität erbringt, konnten diese vier Schüsse 'in Fahrt' bewältigt werden. Das Problem war nun, den windanfälligen Ponton auf Position zu halten.
  • Die anfängliche Methode, den Ponton mit Booten zu bugsieren, mußte aufgegeben werden. Dafür wurden zwei 40-PS-Außenbordmotoren am Bootsheck schwenkbar angebracht. Sie lassen sich einzeln steuern und geben dem Fahrzeug auch bei leichtem Wind noch gute Beweglichkeit.
  • Der Fahrstand mit Fernbedienung der Motoren ist auf das Containerdach verlegt worden. Dieser Standort erlaubt eine gute Übersicht zum Manövrieren und zum Anfahren der Schußposition.
  • Die leichtgemachte Demontage des Containeraufbaus vom Schwimmkörper gibt dem Mutterschiff BIRNES die Möglichkeit, das Fahrzeug mit eigenem Geschirr zu verladen.

  • Flachwassermessung vor Tunesien










    Flachwassermessung vor Tunesien


    Flachwassermessung vor Tunesien







    Flachwasserspezialitäten:
    Flachwassermessung vor Tunesien


    Ist ununterbrochenes Arbeiten möglich, ohne Linienwechsel und dergleichen, so sind pro Tag zwischen 100 und 180 Positionen zu bewältigen, wobei die Begrenzung nicht durch die Leistungsfähigkeit des Pontons selbst, sondern durch die Möglichkeiten der Arbeiten mit dem Grundkabel gesetzt wird.

    Von Schiff zu Schiff

    Keine Flachwasser-Messung ohne Schiffe und zahlreiche Boote! Alle Arbeiten finden in oder von den Booten aus statt, jeder Transort geht per Boot, und selbst manche Mahlzeiten werden im Boot eingenommen. Seismik bedeutet also hier: Bootfahren, im Boot leben. Für die Grundkabel-Arbeiten ist die Zahl der Fahrzeuge groß, und die Art von ziemlicher Vielfalt.

    Im Zentrum unserer Messung stand die SOLEA. Sie stets flott zu halten für den nächsten Umzug, war ein wesentlicher Planungspunkt. Selbst gelegentliches Trockenfallen nahmen wir in Kauf. Dabei bewies das Schiff seine Eignung. Die wichtige Energieversorgung blieb auch jetzt intakt. Ein willkommener Nebeneffekt: Das Trockenliegen erlaubte Arbeiten am Rumpf und an den Schrauben.

    Flachwassermessung vor Tunesien



    Alle Teilnehmer der Messung schätzten die SOLEA auch als Lagerplatz und Versorgungsbasis, als 'Kaffee-Pott'. Während Mutterschiff BIRNES fern im tiefen Wasser lag, übernahm die SOLEA die Rolle der Nährmutter inmitten der Flottille kleiner Boote.
    Flachwassermessung vor Tunesien
    Diese Boote dienen den Kabelarbeiten. Sie und ihre Besatzungen bilden das Rückgrat einer Flachwassermessung. Land- und Wasser-Seismik, beide Methoden werden sich hier ähnlich: Kabelumbau von hinten nach vorne, mit allem, was dazu gehört: Anschlüsse koppeln, Verlängerungen ziehen... Mindestens ein Service-Boot — die sogenannte 'Feuerwehr' — erledigt Schnellreparaturen längs der Auslage und klärt Zweifel, wo immer sie entstehen.

    Jedes Boot bringt es bequem auf 40 km Fahrtstrecke pro Tag — Kilometer, die je nach Beladung und Wetter schwer oder leicht wiegen. So erklärt sich auch der Benzinumsatz von 200 bis 300 Litern pro Tag für die Boote und den Ponton. Dazu kommt Diesel-Treibstoff für Hilfsmaschinen auf dem Ponton und für den ROTORK, unser Allzweckboot für Navigation und Transport. Es arbeitet meist selbständig und legt in großer Eile beachtliche Entfernungen zurück.







    Die Arbeiten am Rande...
    Flachwassermessung vor Tunesien



    Flachwassermessung vor Tunesien
    Flachwassermessung vor Tunesien






    Kennzeichen: Watthose

    Vielseitigkeit war gefragt und die Bereitschaft, auch fachfremde Tätigkeiten auszuführen, eine Grundforderung echter Flachwasserarbeit. So fand sich mancher Meßtechniker über Wochen hin tagtäglich im Schlauchboot wieder, wobei ihm naßkalte Füße und rissige Hände zur Gewohnheit wurden. Die Watthose ist nicht nur Privileg der Nordseefischer... Andererseits mußten einige Wasserratten beim Landaufbau auch mal Staub schlucken.

    Flachwassermessung vor Tunesien



    Die Arbeit stellte hohe Anforderungen an alle Beteiligten:
  • Das Bootfahren erforderte viel Übung. Bei Wind ein Kabel exakt auszulegen, ohne es um die Schraube zu wickeln, ist eine Kunst.
  • Für die Meßtechniker gab es vielfältige und oft komplizierte Arbeiten zu verrichten. Die Vibrator-Messung konnte dank Verstärkung durch Spezialisten aus Hannover reibungslos bewältigt werden.
  • Die Planung und Leitung der Arbeiten, die Abstimmung der Land-See-Kontakte, der Versorgung und der Personalablösung machten Tidenkalender, Flugplan und Funksprechgeräte unentbehrlich.
  • Für Reparaturarbeiten gab es ein reiches Betätigungsfeld, da viele Geräte im Einsatz standen und gepflegt werden mußten. Schwerpunkte stellten die stark beanspruchten Außenbordmotoren und die Grundkabel dar.
  • Die Besatzung der SOLEA operierte so behutsam, daß ihr Schiff nicht ungewollt 'sitzen blieb' und auch keinen Schaden nahm.
  • Dies ist auch den Spezialisten für Radio-Navigation und Handlot zu verdanken: Die Navigatoren fanden mit dem 'Scoutingboat' ROTORK noch immer den richtigen Weg.
  • Die Besatzung des Mutterschiffes BIRNES hatte viele Leute zu versorgen. Alle Boote morgens ins Wasser und abends wieder an Deck zu setzen, war eine tägliche seemännische Übung.

  • Flachwassermessung vor Tunesien
    Für den Landkabel-Aufbau und die Vibrator-Messungen mußten ein Fahrer und zwei weitere Leute mit 'Landerfahrung' abgegeben werden, was die Flachwasser-Gruppe ausdünnte und ihrer Reserven beraubte. Durch Service-Leute aus Hannover, Vertreter des Auftraggebers und tunesischer Behörden sowie einen Operator für die Navigationsanlage (GEOMEX) gelang es trotzdem, alle verfügbaren Betten laufend zu besetzen.

    Die 'trockene' Seite der Medaille

    Einige Anschlußprofile liefen durch die nördlichen Vororte von Sfax, was zu den bei Stadtmessungen üblichen Sicherheitsmaßnahmen zwang. Die allgegenwärtigen Schäden und Folgeschäden der Unwetterkatastrophe von Ende Oktober 1982 gemahnten zu besonderer Vorsicht.

    Flachwassermessung vor Tunesien
    Mit der Annäherung des Luftpulser-Pontons an die Küste wanderte die Geophonauslage vom Abschnitt der Hydrophone über den der Gimbalphone in den Bereich der Landgeophone. Daß bei diesen Übergängen besonders sorgsam vorzugehen und Ebbe und Flut in alle Überlegungen einzubeziehen waren, versteht sich von selbst, auch, daß man sich bei der Ausrüstung des Flachwasser-Meßtrupps schon in Hannover über die Charakteristik von Hydrophon und Geophonen und ihre Auswirkung auf das seismische Signal Gedanken gemacht und beide Empfängertypen gut aufeinander abgestimmt hatte.



    Der Übergang von einer Energiequelle zur anderen erfolgte fast ohne Unterbrechungen. Die beiden Vibratoren standen bereit und lauerten nur darauf, daß der Ponton seine Arbeiten wegen zu geringer Wassertiefe einstellen mußte. Einige Tests hatten vorweg Aufschluß über die optimalen Parameter gegeben. Da man letztlich mit einer geringeren Stapelzahl als ursprünglich erwartet die angestrebte gute Reflexionsqualität erzielte, kam diese Zeitersparnis dem Meßfortschritt zustatten.

    Flachwassermessung vor Tunesien



    Der Blick voraus

    Ein weiterer Entwicklungsschritt ist inzwischen vollzogen: Einbaumöglichkeit einer seismischen Apparatur auf einen zweiten Ponton! Damit ist die Meßapparatur 'beweglicher' geworden, kann der Auslage in extrem flaches Wasser folgen und auf Verlängerungen verzichten.

    Der Fahrtleiter freut sich, sieht rationelleres Arbeiten voraus, eine vergrößerte Flotte, mehr Teile, mehr Leute. Und mehr Sorgen und Probleme.

    That is life!

    M. Kornagel, H. Werner