Report Datenbank php 7.x aufrufen Flachwasser-Messungen im Golf von Suez
Episoden und Abenteuer, erlebt in 11/2 Jahren in Ägypten
PRAKLA-SEISMOS Report 1 / 78


Im Report 4/77
hat Dr. H. J. Trappe in seinem Bericht zum Jahreswechsel 1977/78 auf die zunehmende Bedeutung der seismischen Flachwassermessungen bei PRAKLA-SEISMOS hingewiesen. Dies veranlaßt uns erstens, eine Reportage über Flachwassermessungen im Golf von Suez zu bringen und zweitens, unsere Leser mit ein paar Daten bekannt zu machen, von denen wir wissen, daß sie vielen Mitarbeitern unbekannt sind:

In einem Flachwasser-Meßtrupp arbeiten etwa 15 Leute - einschließlich Kapitän. PRAKLA-SEISMOS zählt drei Kapitäne mit Patent für kleine Fahrt zu seinen Mitarbeitern. Diese drei Kapitäne steuern unsere zwei Flachwasser-Meßschiffe „Ingrid" (siehe Titelbild) und „Wilhelm". Die Ingrid ist etwas kleiner (Länge: 25 m, BRT: 47,2) als die Wilhelm (Länge: 28,3, BRT: 64,2), beide haben einen sehr flachen Schiffsboden (Tiefgang ca. 0,9 m), um bei niedrigem Wasserstand operieren zu können.

Spätherbst 1975, unsere Meßtätigkeit im deutschen Wattengebiet neigte sich ihrem Ende entgegen.

Wind, Nebel, Regen und Kälte sollten wir nun vergessen können und in die wohlverdiente Winterpause gehen. Da erreichte uns die Nachricht: „Messungen schnellstens beenden, die Elsflether Werft zu kurzen Auf- und Umrüstarbeiten anlaufen und dann Nonstop in den südlichen Golf von Suez!"

Die heißersehnte Winterpause war also zum Teufel und besinnliches Abrüsten verwandelte sich in hektisches Aufrüsten. Hunderterlei Dinge mußten getan werden: Ausnahmegenehmigungen waren zu beantragen, die Schiffe waren für den Einsatz in subtropischem Klima und korallenübersähten Gewässern einzurichten, unser Mutterschiff „Gesine H" war zum Transport unseres Meßschiffes „Ingrid" herzurichten und Stabilitätsberechnungen für ihren Huckepack-Transport zu machen, passende Hebetraversen für die „Ingrid" mußten erdacht und gebaut werden. Sämtliche Auflagen der „Schiffsicherheitsbestimmungen für Große Fahrt" waren buchstabengetreu zu erfüllen und last not least, die Verpflegung war zu bunkern. Man bedenke: ein arabisches Land, heiß und trocken und ein Schiff ohne ausreichenden Bier-Vorrat? Nicht auszudenken! Probleme über Probleme und zunächst schien uns, als sollten wir diese Fahrt niemals antreten.

Am 26.11.1975 war es dann doch geschafft. Nach zweieinhalbwöchiger, nervenzerfetzender Tätigkeit lagen wir mit unserem Mutterschiff Gesine und dem Meßschiff Ingrid in Bremerhaven, um die allerletzten Arbeiten vor Antritt der großen Reise zu erledigen.

MS Ingrid mußte nun auf das Oberdeck von MS Gesine gehievt werden. Diesen Kraftakt bewerkstelligte der 100-Tonnen-Schwimmkran „Herkules 1". Eine Berufs-Stauer-Crew brachte die Laschen an, ein vereidigter Stau-Sachverständiger warf einen letzten Blick auf unsere fest vertäute Ingrid und uns blieb nun weiter nichts zu tun als uns vorübergehend von unseren Schiffen zu verabschieden und MS Gesine gute Fahrt, immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel und gutes Wetter im Kanal und der Biskaya zu wünschen.

War uns Poseidon gnädig gesinnt, müßte die Gesine den Hafen von Port Said in drei Wochen erreicht haben. Aber noch waren die vorbereitenden Arbeiten nicht ganz abgeschlossen: zwei Unimogs, ein Werkstatt-Trailer, zwei VW-Busse sowie die gesamte Hifix-Ausrüstung mußten von uns per Achse nach Ägypten gebracht werden.

Am 05.12.1975 rollte der Fahrzeugkonvoi ab Hannover in Richtung Venedig. Endziel: die Fähre nach Alexandria. Da passierte die erste Panne. Die Tagesetappe ist geschafft, der Unimog mit Werkstattwagen verläßt die Autobahn, um sein Nachtquartier anzusteuern. 50 Meter vor der ersehnten Ruhe und dem ersten Bier macht sich das rechte Vorderrad des Werkstattwagens selbständig; die Radbolzen waren gebrochen. Nun glühten die Telefondrähte, umsonst, denn die Radbolzen waren eine Spezialanfertigung, eigens gebaut für PRAKLA-SEISMOS. Sie kamen per PKW aus Hannover. Nun galt es, den Zeitverlust möglichst wieder aufzuholen. Wir versuchten es u. a. am ersten Grenzübergang Kiefersfelden.

Vor uns ein träg dahinkriechender langer Bandwurm von LKW's. Anstatt uns hinten anzuschließen, fuhren wir zum PKW-Übergang. Woher sollten wir „weltfremden" Praklaner denn auch wissen, daß dies gegen die Spielregeln verstieß? Ein leicht belustigtes Lächeln der Zollbeamten, lautstarke Proteste aus der LKW-Schlange und wir hatten schätzungsweise 15 Stunden gewonnen.

Noch am gleichen Tage, eine halbe Stunde vor Schließung des Grenzüberganges Österreich/Italien, passierten wir den Brenner-Paß und erreichten Venedig am nächsten Tag mit insgesamt nur wenigen Stunden Verspätung.


Doch nun wurde unsere Eile gegenstandslos: Ein kleines Sturmtief im Mittelmeer machte alle Dispositionen hinfällig, änderte kurzfristig die Abreisetermine und verschaffte uns Zeit für einen schönen Stadtbummel und einen gemütlichen Abend beim Chiantiwein.

Als unser Fährschiff am Abend des 13.12.1975 die Leinen loswarf und damit den bereits winterlich anmutenden europäischen Kontinent verließ, freuten wir uns auf Sonne und blaues Meer aber auch darüber, daß wir die erste Phase unseres neuen Auftrages so gut bewältigt hatten.

Alexandria, Ägyptens größte Hafenstadt am Mittelmeer und zweitgrößte Stadt des Landes! Wir erreichten sie am dritten Tag unserer Seereise. Vom Oberdeck aus betrachteten wir die Silhouette der Stadt und waren enttäuscht. Aus Fabrikschornsteinen quoll pechschwarzer Rauch, der vom heißen Wüstenwind getrieben, als schweflig stinkender Smog auf uns zutrieb. Rings um den Hafen lag eine riesige Armada von Schiffen. Sie warteten auf Abfertigung, weil die veralteten Hafenanlagen diesem Ansturm nicht gewachsen waren. Wartezeiten von drei bis vier Monaten seien nichts Ungewöhnliches - sagte man uns.

Hinter der Stadt stand eine dunkle Gewitterfront über der Wüste und nur an vereinzelten Stellen durchbrach Sonnenlicht die Wolkendecke. Unser Fährschiff stoppte und erwartete das Lotsenboot mit den Beamten des Immigration-Office und des staatlichen Wechselbüros.

Wir besaßen keine Visa, füllten deshalb Anträge für ein einmonatiges Touristenvisum aus und beantworteten unzählige Fragen: Was führen Sie an Devisen mit sich, wieviele Scheckformulare haben Sie und was für welche, was für Wertgegenstände, was für Schmuck, wieviel Fotoapparate und welchen Typs? usw. usw.

Aber wir überstanden diese umständliche Prozedur bei guter Gesundheit. Im Freihafen von Alexandria, mit unübersehbaren Mengen von Zollgütern angefüllt, fanden wir ein kleines Plätzchen zum Abstellen unserer Fahrzeuge. Damit war unsere Mission der Fahrzeugüberführung abgeschlossen.

Als wir in die Innenstadt kamen, bot sich uns ein bizarres Bild pulsierender und brodelnder Geschäftigkeit. Ein babylonisches Gewirr von Menschen, hochbelandenen Eselskarren, abenteuerlich zusammengeflickten Autos aller Altersstufen, die sich ratternd und laut hupend einen Weg durch die Menschenmengen bahnen. Dazwischen Omnibusse und Taxis zum Bersten vollgepackt mit Passagieren, die zum Teil auf Stoßstangen, Trittbrettern und Motorhauben hocken. Dies alles eingezwängt in enge Gassen und Straßen, begrenzt von alten Häusern mit offenen basarähnlichen Läden. Die Luft ist geschwängert mit Gerüchen aller Art, unangenehmen und fremdartig anmutenden, aber auch mit den betörenden Düften Arabiens. Ab und zu ein Prachtbau aus früheren Tagen, der die ehemalige Kolonialzeit ahnen läßt. Und all dies vom Verfall bedroht.

Im Morgengrauen - es ist noch empfindlich kühl - durchqueren wir die schlafende Stadt. Nur vereinzelt begegnen uns Eselskarren.


Es gibt zwei Wege nach Kairo: durch das Nildelta mit seinen vielen Fellachendörfern oder durch die Wüste. Wir wählen die 210 km lange Wüstenstraße. Im morgendlich diffusen Licht übt die Wüste einen eigenartigen Reiz auf den Betrachter aus.

Beim Erreichen Kairos erblicken wir als erstes seine ältesten Wahrzeichen, die Pyramiden, 4500 Jahre alte Kolossalbauten, die uns in ihren Bann schlagen. Gleichso die faszinierende, sich weit in die Wüste erstreckende Totenstadt, in nichts zu vergleichen mit einem europäischen Friedhof: eine eigene Stadt in der Stadt mit teils monumentalen Bauten. Hier hausen die allerärmsten der Armen, ungestört von den Lebenden und den Toten.

Kairo, die Hauptstadt am Nil, platzt aus allen Nähten. In ihren Mauern beherbergt sie acht bis neun Millionen Menschen. Tagsüber quellen weitere zwei Millionen aus den umliegenden Dörfern in die Stadt. Ein unvorstellbares Verkehrschaos ist die Folge. Kairo hat jedoch durch seine krassen Gegensätze in allen Lebensbereichen und die verwirrende Mischung von Orient und Okzident sein ureigenes persönliches Gesicht. Selbst der abgebrühteste Besucher wird sich der Faszination dieser Stadt nicht entziehen können.

Unser Aufenthalt in Kairo ist jedoch leider nur von kurzer Dauer, denn vor Eintreffen unserer Gesine in Port Said muß noch einiges getan werden. Unsere Fahrt nach Hurghada, dem Amtssitz des Gouverneurs der Provinz „Red Sea" und gleichzeitig unserer künftigen Operationsbasis, führt uns durch viele Fellachendörfer des Niltals. Sie liegen eingebettet in schattige Palmen und Orangenhaine, die von immergrünen Feldern umgeben sind. Wenn wir den Blick von der Straße lösen und nach links oder rechts blicken, fühlen wir uns in die Zeiten Moses, des Propheten, zurückversetzt:

Frauen waschen ihre Wäsche in den brackigen Bewässerungskanälen, tragen balancierend Wasserkrüge auf dem Kopf. Wasserbüffel drehen mit verbundenen Auge; Schöpfräder zur Bewässerung der Felder. Vereinzelt bearbeiten Fellachen ihr Land mit vorzeitlichen Holzpflüger, die von Ochsen gezogen werden. Ab und zu Kamele und Esel, hoch beladen. Ziegen überall. Orangen, Mandarinen und Gemüse werden am Straßenrand feilgeboten und vom Nil her sieht man die Masten mit den vielfach geflickten Segeln der Feluken langsam vorüberziehen.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir Hurghada, die Hafenstadt an den immer blauen Wassern des Golfs von Suez, von Land her bedrängt durch die mit bizarren Gebirgsketten durchzogene Wüste. Die Stadt besitzt einen Militärflugplatz, auf dem auch Chartermaschinen landen dürfen, eine Cafeteria, in der man auch heimische Gerichte und etwa zweimal monatlich Local-Bier bekommen kann. Im kleinen Fischerei- und Militär-Hafen ist das Bunkern von Frischwasser und Schiffsdiesel möglich. Elektrisches Licht liefern die ortseigenen Generatoren. Die Wasserversorgung erfolgt per Pipeline vom Nildelta her. Ein Verteilernetz im Ort gibt es jedoch nicht, das Wasser wird mit Tankwagen verteilt. Die Zierde des Ortes ist eine wunderschöne Moschee aus weißem Kalkstein. Auch die Gouverneurs-Residenz, das neuerbaute Krankenhaus und die am Stadtrand liegenden Bungalows sind ein durchaus erfreulicher Anblick.

Im Gegensatz dazu besteht das Zentrum der Stadt aus Lehm- und Schlammziegel-Hütten, die unverputzt und ohne Dächer sind - der letzte Regen fiel vor sieben Jahren - mit in sich verschachtelten Innenhöfen. Ein Fremder kann sich hier kaum zurechtfinden. Das Herzstück dieses Labyrinthes ist der Bazar, Mittelpunkt des geschäftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Gassen sind alle ungepflastert. Handwerker und Händler bieten hier entweder in offenen Geschäften oder direkt unter freiem Himmel ihre Waren an.

Auch die im Orient unvermeidlichen Kaffeehäuser fehlen nicht: hier sitzen sie, die Herren der Schöpfung, schlürfen Tee und türkischen Kaffee, spielen Domino und rauchen ihre Wasserpfeifen. Dazwischen streunende Ziegen, die Gesundheitspolizei des Ortes, denn ihre bevorzugte Nahrung sind außer Papierresten und alten Zeitungen die Küchenabfälle, die überall herumliegen. Auch für uns wurde nun der Bazar Einkaufsquelle für das tägliche Leben, für sechs lange Monate.

Unser Mutterschiff „Gesine H" sollte am 22.12.1975 Port Said erreichen und noch am gleichen Tage im Konvoi den Kanal passieren.

Nun zeigte sich, daß wir noch krasse Anfänger - richtige Greenhorns - waren:
Jedes Schiff, das den Suez-Kanal passiert, muß zwei Lotsen, eine Scheinwerfer-, eine Rettungsboots- und eine Festmacher-Crew an Bord nehmen. Am Bug des Schiffes wird ein mannsgroßer Kasten mit Scheinwerfern montiert und je nach Stärke der Schiffsbesatzung müssen ein bis zwei Rettungsboote der „Suez-Kanal-Gesellschaft" an Bord genommen werden. Das Spektakel begann, als wir im Hafenbecken von Port Said einliefen um uns in den abgehenden Schiffskonvoi einzugliedern. Wie Heuschrecken überfielen uns kleine Boote aller Art, umkreisten uns, Leinen wurden an Bord geworfen und festgemacht. Dunkle Gestalten enterten die Bordwand herauf und Beutel, Säcke, Koffer wurden an Bord gereicht. Sie schwärmten aus wie Bienen, drangen in die Kabinen ein, belegten Messe und Salon, besetzten die Brücke und im Nu sah unser Schiff aus wie ein schwimmender Souvenir-Laden.

Die Gesine war voll in ägyptischer Hand. Die Kontrolle war uns entglitten. Von überallher kamen Hilferufe, um der Flut arabischer Händler Herr zu werden und sie aus unverschlossenen Kabinen und anderen Räumen zurückzudrängen. Wirres Geschnatter, Gezeter und Geschrei in Deutsch, Englisch und Arabisch drangen aus allen Winkeln des Schiffes. Ein äußerlicher Unterschied zwischen dem Personal der Suez-Gesellschaft und den fliegenden Händlern, die unser Schiff gekapert hatten, bestand nicht. Soweit das Auge reichte nichts als wehende Kaftane, ein für uns nicht zu überschauendes Chaos, das sich erst auflöste, als wir in den Suez-Kanal einfuhren. Ein Erlebnis, das uns bewog, in Zukunft alle Räume des Schiffes und die Niedergänge unter Verschluß zu halten.

In Ras Shoukheir, zwischen Suez und unserem Hurghada gelegen, wurden sämtliche Einreiseformalitäten erledigt. Gewisse Aufmerksamkeiten unsererseits belohnten die bürokratischen Vertreter Ägyptens durch unermüdliches Bestempeln und Beschreiben von Papier. Die Zoll-, Immigrations- und Quarantäne-Bescheinigungen waren im Handumdrehen ausgefüllt und damit unsere Einreise perfekt.

Nun stand uns allerdings noch die Entladung der Ingrid bevor. Es war rauhe See mit Windstärke um 6 und Heiligabend. Es sah mulmig aus und allen Beteiligten war flau im Magen.


Der 200-Tonnen-Schwimmkran „Oceanic Derrick" war, so weit es sein Tiefgang zuließ, in die Bucht von Ras Shoukheir eingeschwommen. Er lag ruhig wie ein großes Ungetüm im Wasser. Die Gesine H dagegen tanzte wie eine Nußschale auf den Wellen. Aber ein Zurück war nicht mehr möglich. Ein „Stand-by-Tag" des Krans hätte uns 48000 US-Dollar gekostet. Vorsichtig manövrierte sich die Gesine H längsseits, die ersten Trossen wurden gereicht und im Rhythmus der auf und nieder rollenden See gezurrt. Da rissen die ersten Stahlseile wie Bindfäden. Man reichte uns die Festmacher-leinen des Krans. Es waren Perlontrossen von 100-TonnenReißfestigkeit. Sie waren so dick, daß wir sie nur mit Mühe und Not durch die Klüsen unseres Schiffes bekommen konnten. Mit über Dampf betriebenen spillähnlichen Pollern wurden wir dann mit Brachialgewalt an die Oceanic Derrick gezerrt, und mit Befriedigung stellten wir in der Rollbewegung von Gesine H eine deutliche Verminderung fest.

Nun konnten die Hebetrossen festgemacht werden. Die Ingrid wurde zusätzlich am Vordersteven mit einem Tau am Ankerspill der Gesine H gesichert. Dann war es soweit: Ein Pfiff des Vormanns mit einer Trillerpfeife in ein Handfunkgerät gab dem Kranführer das Kommando zum Hieven. Jetzt zeigte sich das große Können dieser Crew und ihr gutes Zusammenspiel im Umgang mit großen Lasten. Wie von Geisterhand wurde die Ingrid blitzschnell in die Höhe gezogen und war frei von allen Gefahren. Ein Aufatmen ging durch unsere Mannschaft und manches bisher zugekniffene Auge wurde geöffnet. Der Rest war Routinearbeit.

Aber Tränen gab es trotz allem. Sie kullerten dem amerikanischen Vormann - einem Baum von einem Kerl - über die Wangen als er uns zwei Flaschen Whisky, die wir ihm zum Dank für seine exzellente Arbeit geschenkt hatten, zurückgeben mußte. Sein Boß hatte ihn erwischt. So köpften wir diese Flaschen zur Feier des ersten Weihnachtsabends in Ägypten und in dem Bewußtsein, einen erfolgreichen Tag hinter uns gebracht zu haben.

Die Restcrew unseres Trupps erreichte Kairo am 28. 12. und Hurghada am 29. 12. 75. Unsere Schiffe hatten bereits im Hafen von Hurghada festgemacht. Das große Auspacken und Einrichten begann.

Als Landbasis mieteten wir das ehemalige Haus der CGG. Es hatte zwei Schlafräume, einen Wohnraum, der gleichzeitig als Büroraum und „Speisesaal" diente, eine Küche mit Kühlschrank und Gasherd. Ein Bad mit Dusche gab es ebenfalls, allerdings funktionierte sie nicht, weil der Wassertank der Hausversorgung unter dem Niveau des Duschkopfes lag.

Um das Haus herum gab es ausreichend Platz - die Wüste - zum Lagern von Material, für den Werkstatt-Trailer, und unsere Fahrzeuge. Auch die Antennenmasten für die Funkverbindung mit Kairo, unseren Schiffen, und den Hifix-Navigations-Stationen wurden hier errichtet.

Fünf LKW-Ladungen Hifix-Material wurden entladen und drei „fliegende" Camps für die Hifix-Stationen errichtet, die in Abständen bis zu 60 km an geographisch genau vermessenen Punkten lagen. Benzin und Trinkwasser waren zu transportieren und dafür mußten kurzfristig Helfer und LKW's angemietet werden.

Personal für die Landbasis wurde eingestellt: drei Fahrer, ein Koch und ein Boy. Bei allen militärischen und für uns wichtigen zivilen Institutionen machten wir „shake hands". Die ersten Besucher und „Dauergäste" erschienen auf der Bildfläche: die allgegenwärtige „Security" sandte uns ihre Sicherheitsoffiziere, die uns von nun an bis zum letzten Tag begleiteten: auf den Schiffen, den Hifix-Stationen an Land, überall, wo wir tätig waren. Mit Argusaugen überwachten sie die Einhaltung von Vorschriften und Auflagen.

Zuletzt luden wir 120 000 m Sprengschnur. Die vorbereitenden Arbeiten waren damit fast abgeschlossen und wir für die große Empfangsparty bereit: alle Honorationen des Städtchens erschienen. Voran, im dunklen Anzug, der Gouverneur, dann, in Zivil, der General der Security, der Polizeipräfekt, ein Colonel der Behörde für Innere Sicherheit, der Chef der Hafenbehörde und viele viele mehr. Die Pier war voll von Zivilfahrzeugen und Militär-Jeeps.

Mit unserm Publicrelation-Mann (einem Neffen des Gouverneurs) hatten wir vorher die Sitzordnung genau festgelegt. Sie richtete sich nicht etwa nach Rang und Namen, sondern nach dem, was wir unsern Gästen boten. Alkohol verschmähende oder liebende, unseren köstlichen Westfalenschinken goutierende oder ablehnende Besucher mußten streng voneinander getrennt werden.


Der Autor dieser Reportage, P. Hengst, beim Peilen
Das Meßkabel am Heck des Schiffes
Teilansicht des Meßraumes der Ingrid

Es wurde ein gelungenes Fest und alle Beteiligten waren begeistert. Um 3 Uhr morgens verließen unsere Gäste - teils in euphorischer Stimmung - unser Schiff, versehen mit kleinen Präsenten, die bekanntlich die Freundschaft erhalten.

Am frühen Morgen verlassen wir mit unsern Schiffen den Hafen von Hurghada und fahren hinaus zwischen Koralleninseln und Riffen zu unserm ersten Liegeplatz, einer aus Korallenriffen entstandenen Lagune. Nur mit Mühe finden wir eine schmale Passage mit ausreichend Wasser unterm Kiel.

Flache, aus bizarren „Büschen" geformte Korallengärten im seichten, glasklaren Wasser, grünlich schimmernd, kontrastieren gegen das Tiefblau der Riffkanten. Es glitzert von buntschillernden Lebewesen: Schwärme von Papageienfischen stehen vor den Korallen, blaugestreift und mit lanzenförmigen, orangenfarbigen Schwanzflossen spielen sie zu Hunderten um Klippen und Felsen. Oft begleiten Delphine unsere Schiffe. Die Flora und Fauna ist grandios in ihrer Vielzahl an Farbe und Gestalt. Wir sind begeistert.

Unser erstes Profil schossen wir mit Airguns. Die Seekarten wiesen überall Wassertiefen von mehr als 20 Metern aus. Doch plötzlich hatten wir die erste Grundberührung. Der Streamer verschwand unter Korallen und Bojen scherten ab. Sollten die Seekarten nicht stimmen oder navigierten wir falsch? Nach weiteren Kollisionen mit urplötzlich aus der Tiefe aufsteigenden Korallenpilzen wurden wir mißtrauisch. Wir checkten die Karten und die Preplots und ein großes Geschimpfe auf unser Datenzentrum hob an: die Computerlisten für die Preplots waren fehlerhaft. Funksprüche und Telexe jagten sich, doch Hannover wurde sehr bald rehabilitiert. Die fehlerhaften Koordinaten der Profile kamen von woandersher: auch Kunden sind nur Menschen.

Der Wettergott war uns hold und so konnten wir bereits im ersten Monat unserer Meßtätigkeit über 100 Profilkilometer schaffen. Nur mit den Gezeitenströmungen hatten wir wider alles Erwarten stark zu kämpfen, sie entwickelten sich zu einem echten Problem. Bei nur 50 cm Tidenhub herrschten Strömungsgeschwindigkeiten bis zu drei Seemeilen!

Unsere eigentliche Aufgabe, die Überquerung der Riffe, Inseln und Korallenbänke mit seismischen Profilen stand uns noch bevor. Bis jetzt hatten wir nur mit Airguns und Streamer in tieferem Wasser gearbeitet, nun mußten wir vollkommen umdenken, und ein Vergleich mit den Sand-und Schlick-Watten der Nordseeküste war mitnichten möglich. Dem Einsatz unserer mit selbstorientierenden Geophonen bestückten Grundkabel waren Grenzen gesetzt. Die auf engstem Raum schnell wechselnden Wassertiefen und die riesigen Korallen-Stöcke machten eine gute Bodenankopplung der Geophone — die Voraussetzung für eine brauchbare Messung — unmöglich. Außerdem verfingen sich die Kabel und Geophone häufig im Korallengewirr und konnten nur in mühsamer Taucharbeit wieder befreit werden. Unsere bis dahin recht gute Kilometerleistung sackte kläglich ab und wir waren alle glücklich, als endlich die angekündigte Telseis-Ausrüstung in Hurghada eintraf.

Das hervorstechendste Merkmal bei der von uns jetzt angewandten Methode war, daß das seismische Signal nicht wie bisher über Kabel, sondern über Funk in die Meßkabine übertragen wurde. An die Stelle einer Land- oder Grundkabel-Auslage traten 36 Telseisbojen. An diese Bojen wurden wahlweise, je nach Wassertiefe, Kabel mit selbstorientierenden Geophonen oder Hydrophonen angeschlossen. In der Meßapparatur befanden sich 36 Empfänger, die das von den Telseisbojen ausgesandte seismische Signal aufnahmen.

Nach Überwindung der üblichen Anfangsschwierigkeiten wurde diese neue Methode zum vollen Erfolg. Unsere Ingrid war zum Waisenmädchen geworden, 10 bis 20 km abseits vom seismischen Geschehen lag sie einsam vor Anker. Die Hauptlast der Arbeit übernahm nun eine kleine Armada von Schlauchbooten. Vollbepackt mit Bojen, Kabeln und Sprengschnur verließen sie im Morgengrauen ihr Mutterschiff, flitzten wie fliegende Fische über das Wasser ob tief oder flach. Schuß auf Schuß folgte und Telseisboje auf Telseisboje wurde vom Ende der Auslage an ihren Anfang transportiert. Nur stürmisches Wetter und rauhe See konnten uns stoppen.

Die Erzählungen von haifischverseuchten Gewässern waren unserm Gedächtnis bereits entschwunden als wir die erste Profillinie parallel zu einer steil abfallenden Korallenwand schossen. Kaum waren die ersten Dynacordschüsse abgetan, wimmelte die Wasseroberfläche von Fischen aller Art und Größe. Zackenbarsche und Thunfische bis zu einem Meter Länge, bunte Papageien- und Drückerfische zuckten und zappelten wild durcheinander.

Plötzlich schossen 10, 20 oder mehr Haifische torpedogleich unter, neben und hinter unsere kleinen Schlauchboote. Ihre Leiber glichen dunkelsilbrig glänzenden Pfeilen, ihre Bewegungen waren geisterhaft schnell, ein ästhetisch anzusehender Reigen des Todes. Sie ernteten, was wir mit Dynamit gesät hatten.

Nach dem ersten Schrecken verließen wir blitzartig die Stätte des Grauens. Jeder von uns hatte wohl den gleichen Gedanken: ein versehentlicher Biß in die Schlauchboote und auch wir wären zu Haifischfutter geworden.

Erst an Bord beruhigten sich die Gemüter wieder. Ein ganz hartgesottener Witzbold meinte: „Es waren wohl doch nur größere Makrelen". Doch von nun an wollten wir zum Schießen nur unsere harten Plastikboote einsetzen.

Die Folge dieses Abenteuers war ein Aufblühen der Phantasie unserer „Konstrukteure". Es wurden Harpunen gebastelt. Fast geniale, messerscharfe, mit automatisch aufklappbaren Widerhaken und simple Konstruktionen, aus runden Baustahleisen gebogene Fleischerhaken, nadelspitz zugeschliffen. Die gefangenen Haifische sollten mit dem Ladegeschirr der Gesine H an Deck gehievt werden. Wir hofften jede Menge Haifischzähne als Souvenirs zu ergattern. Einzige Beute unseres Fischzuges wurde dann allerdings nur eines unserer Schlauchboote: es wurde aufgeschlitzt. Daraufhin wurde die Jagd auf Haifische eingestellt.

Abschließend wollen wir über unser aufregendstes Erlebnis berichten. Zu unsern täglichen Besuchern zählte ein patrouillierender Militärhelikopter aus Hurghada. Jeden Morgen pünktlich um 10 Uhr überflog er unsere Boote und Schiffe und umkreiste sie. Gelegenheit zu allgemeinem freundlichen Zuwinken war gegeben. Dann kam der denk' würdige 08.05.1976. An diesem Tage überquerten wir mit einer Meßlinie eine unbewohnte Koralleninsel.

MS Ingrid lag auf der Seeseite der Insel vor Anker. Mit vier Schlauchbooten, unserm Scoutingboot und einem Schießboot waren wir gerade auf dem Eiland gelandet. Fünf Leute unserer Crew und ein ägyptischer Schießmeister waren mit dem Aufbau der Telseisbojen, dem Auslegen der Geophone und dem Vorbereiten der Schußladungen beschäftigt.

Der erste Schuß wurde abgetan. Eine Dreck- und Staubsäule stieg 20 Meter hoch in die Luft. Da erschien auch schon unser altvertrauter Bekannter, drehte seine üblichen Runden, wir winkten, doch er verschwand am Horizont schnell unserm Blickfeld.

Weitere Land- und Wasser-Schüsse folgten. Fünfzig-MeterRollen mit Sprengschnur waren bereits einen Meter tief vergraben und sollten abgeschossen werden. Da hörten wir erneut das knatternde Geräusch der Propellerblätter eines Hubschraubers und die Überraschung war perfekt als er zur Landung ansetzte. Acht schwerbewaffnete Soldaten stürmten in Kettenformation auf unsere völlig verdutzten Leute zu und nötigten sie, in den Helikopter einzusteigen. Der Vermittlungsversuch unseres ägyptischen Schießers scheiterte. Der ganze Spuk dauerte nicht länger als fünf Minuten.

Die Männer auf der Ingrid hatten natürlich diesen dramatischen Vorgang mit dem Fernglas beobachtet und uns im Office in Hurghada sofort über Funk unterrichtet. Wir warfen uns ins Auto und rasten zum Office der Security. Dort erfuhren wir, daß der diensthabende Colonel bereits zum Flughafen abgefahren war. Wir hinterher und da sahen wir die Bescherung: da standen sie, unsere Halbnackten wie die armen Sünderlein, zwar nicht mehr als Gefangene, da man sie inzwischen als harmlose Praklaner entlarvt hatte, aber mit brennenden Fußsohlen auf dem glühenden Beton der Rollbahn, ohne Hemd und Schuhe.

Angeblich hatte man auf einer Nachbarinsel verdächtige Personen in Taucheranzügen mit Schlauchbooten beobachtet und feindliche Agenten gewittert. Aber nun war ja erfreulicherweise alles aufgeklärt. Zunächst herrschte auf Seiten der Krieger ziemliche Verlegenheit bis ein allseitig befreiendes Gelächter die etwas unerquickliche Situation entkrampfte.

Mit diesem aufregenden Erlebnis schließen wir unseren Bericht ab. Es gäbe noch vieles zu erzählen, doch auch so hoffen wir, daß unsere Leser einen kleinen Einblick in die schwierigen aber oft auch urkomischen Begebenheiten bei einer Flachwassermessung im Vorderen Orient gewonnen haben.

P. Hengst
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Nachtrag


Vertragsgebiete der DEMINEX

Auftraggeber für unsere Flachwasser-Seismik-Messungen war neben mehreren internationalen Gesellschaften die DEMINEX, Deutsche Erdölversorgungsgesellschaft mbH, Essen. Ihr Geschäftsführer für den Bereich Operationen, Herr Dr. Herbert Westerhausen, hat uns einige hochaktuelle Informationen zur Verfügung gestellt, die wir hier als Abrundung der Reportage von P. Hengst bringen:

Die Konzessionsgebiete im Golf von Suez erwarb die DEMINEX im Jahre 1974 von der ägyptischen Staatsgesellschaft EGYPTIAN GENERAL PETROLEUM CORPORATION (EGPC). Das Vertragsgebiet Suez-West (2000 qkm) wird voll von der DEMINEX wahrgenommen, an dem Vertragsgebiet Suez-Ost sind BP und Shell zu je einem Drittel mitbeteiligt (siehe nebenstehende Lageskizze). Geophysikalisch gesehen gehört der Golf von Suez zu den schwierigsten Explorationsgebieten der Welt. Infolge der lithologischen Beschaffenheit des Untergrundes (junge Anhydrit-Ton-Wechsellagerungen und mächtige Salzlagen) ist die Qualität der Reflexionen aus dem Prämiozen sehr dürftig. Auch umfangreiche Testmessungen mit modernsten Aufnahme- und Abspieltechniken führten zu nur geringfügigen Verbesserungen.

Im westlichen Vertragsgebiet wurden bisher fünf Bohrungen abgeteuft von denen zwei ölfündig wurden. Wegen der Kriegseinwirkungen konnten die Explorationsarbeiten im Golf von Suez-Ost erst Mitte 1976 mit seismischen Messungen aufgenommen werden. 3000 Profilkilometer sind bisher vermessen und ausgewertet. Die erste Aufschlußbohrung wurde hier im Herbst 1977 begonnen.

Der unwahrscheinliche Fall, daß in einem neuen Konzessionsgebiet gleich die erste Aufschlußbohrung fündig wird, ist in der Konzession Suez-Ost eingetreten: Die Bohrung EE 85-1 steht in einer Wassertiefe von 43 Metern nur 5 km von der Ostküste des Golfs entfernt. Die tägliche Produktion betrug bei den ersten Fördertests im ersten Drittel des April 1978 aus mehreren Horizonten der Nubian-Formation fast 2100 Tonnen!

Redaktion